Eine kurze Geschichte der Beratung

Von Orakeln zu zeitgenössischen Fach- und Prozessberatungen

Beratung ist ein uraltes Konzept, das sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt hat. Sie reicht von den mystischen Orakeln der Antike bis zu den strukturierten Fach- und Prozessberatungen der Gegenwart. In seinem Buch „Was soll ich tun?“ beleuchtet Heiko Wandhoff verschiedene Epochen der Beratungsgeschichte und zeigt, wie unterschiedliche Denker und Philosophien die Art und Weise geprägt haben, wie wir heute über Beratung nachdenken und sie praktizieren. In diesem Artikel werden die wichtigsten Stationen dieser Entwicklung, insbesondere die Rolle der Orakel, der Sophisten, Sokrates und Platon, betrachtet sowie deren Einfluss auf die moderne Beratung herausgearbeitet.



Die Orakel: Die Stimme der Götter

Die Geschichte der Beratung beginnt in der Antike mit den Orakeln, die als Vermittler zwischen der menschlichen Welt und den Göttern dienten. Die bekanntesten Orakel, wie das Orakel von Delphi, waren an heiligen Stätten angesiedelt, wo Priester*innen inspirierte Antworten auf die Fragen der Ratsuchenden gaben. Diese Beratungen waren häufig vage und offen für Interpretationen oder gar als Frage formuliert, was den Ratsuchenden die Möglichkeit gab, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen und Entscheidungen zu treffen. Orakel boten somit nicht nur Antworten, sondern auch Raum für individuelle Reflexion und Deutung.



Die Sophisten: Die Kunst der Überredung

Mit der Ankunft der Sophisten im antiken Griechenland erlebte die Beratung eine Transformation. Sophisten wie Protagoras und Gorgias waren als Lehrer der Rhetorik bekannt und spezialisierten sich darauf, ihren Schülern beizubringen, wie man Argumente formuliert und überzeugend kommuniziert. Im Gegensatz zu den Orakeln, die vage Antworten gaben, setzten die Sophisten auf für seinen Zeitraum neue Denkanstöße und Methoden, um ihre Klienten zu unterstützen. Sie lehrten, dass es unterschiedliche Perspektiven auf die Wahrheit gibt, was in der Praxis oft zu einer Art relativistischer Sichtweise führte. Ihre Beratungen waren weniger an moralischen oder göttlichen Wahrheiten orientiert, sondern fokussierten sich auf praktischen Erfolg und Einfluss.



Sokrates: Die Kunst des Fragens

Sokrates lieferte eine Art Gegenentwurf zur beraterischen Haltung der Sophisten. Anders als die Orakel und Sophisten stellte er nicht die Rhetorik in den Mittelpunkt, sondern die Kunst des Fragens. Sokrates glaubte, dass durch gezieltes Fragen und Dialoge die Wahrheit erkannt werden könne. Diese Methode, die heute nach wie vor  bekannt ist als sokratische Gesprächstechnik, zielte darauf ab, den Klienten zur eigenen Erkenntnis zu führen, anstatt ihm eine vorgefasste Meinung aufzuzwingen. Sokrates nutzte Fragen, um Annahmen zu hinterfragen und tiefere Einsichten zu gewinnen. Die Wahl dieser dialogischen Methode verdeutlicht, dass Beratung nicht nur das Angebot von Lösungen bedeutet, sondern vor allem einen Prozess der Entdeckung und Reflexion anstoßen kann.

Das diese beraterische Haltung zu einigen Diskussionen und Konkurrenz zwischen den Sophisten und den Anhängern der sokratischen „Schule“ ist anzunehmen.



Platon: Die Verbindung von Idee und Praxis

Ein Schüler Sokrates' war Platon, der die Ideen seines Lehrers in seinen eigenen philosophischen Arbeiten aufgriff und weiterentwickelte. In Werken wie „Der Staat“ und „Der Anspruch der Philosophie“ argumentierte Platon, dass die Beratung darauf abziele, das Gute und Wahrhaftige zu fördern. Er stellte die Idee der idealen Führung in den Vordergrund, wobei der Berater als Philosoph auch eine moralische Verantwortung gegenüber seinen Klienten trage. Platons Ansatz kann als einer der ersten systematischen Versuche angesehen werden, Beratung nicht nur als persönliche, sondern auch als ethische Praxis zu definieren.



Von der Antike zur zeitgenössischen Beratung

Die Entwicklungen, die von den Orakeln über die Sophisten und die Philosophen Sokrates und Platon geprägt wurden, haben nicht nur die Beratungsformate beeinflusst, sondern auch die zugrunde liegenden Prinzipien der Beratung selbst. In der modernen Welt der Beratung herrscht nach wie vor eine Debatte, welche beraterische Haltung die erfolgversprechendste ist. Die Fachberatung, die tendenziell aus einer Fachexpertise und einem Vorsprung an (Fach-) Wissen heraus eben dieses an Klienten weitergibt oder die Prozessberatung, die tendenziell auf die Kraft der Selbstreflexion und das prinzipiell Vorhandensein jedweder Ressource im Klientensystem bauen und eher dabei behilflich sind, diese Ressourcen „zu gebären“. Ich finde es bemerkenswert, wie deutlich die historischen Konzepte noch heute zu erkennen sind.

Klar ist: Berater arbeiten nicht mehr nur als Lösungsträger, sondern ermöglichen den Klienten, selbst Antworten zu finden – ein Echo der sokratischen Methode. Auf der anderen Seite ist es für mich unstrittig, dass Klienten hin und wieder den fachlichen Rat einer speziellen Expertise benötigen oder das dieser Impuls von außen schlicht eine Menge Zeit sparen kann, sofern das Klientensystem dafür empfänglich ist.

In der Fachberatung konzentrieren sich die Berater auf spezifisches Wissen und fachliche Expertise, während sie in der Prozessberatung den Fokus auf die Strukturen (sowohl formale als auch informelle) und dem Klientensystemen bei der eigenen Reflexion und Beobachtung behilflich sind. Beide Ansätze erfordern ein tiefes Verständnis der individuellen Bedürfnisse und Herausforderungen der Klienten, was auf die wertvollen Lektionen zurückgeht, die uns die antiken Denker gelehrt haben. Dabei kommt es immer mehr auf eine Kombination aus Fach- und Prozessberatung an, was heute auch als Komplementärberatung bezeichnet wird.



Fazit

Die Geschichte der Beratung ist ein faszinierendes Zusammenspiel von unterschiedlichen Wegen der Wissensvermittlung und -erlangung. Von den mystischen Orakeln, über die rhetorischen Meister der Sophisten, die einsichtsvollen Dialoge Sokrates’ bis hin zu Platons ethischer Verantwortung, zeigt sich, wie vielschichtig die Ansätze zur Unterstützung von Individuen und Gruppen im Entscheidungsprozess sein können.

In der zeitgenössischen Beratung finden wir diese historischen Wurzeln in der Praxis bestätigt, wo die Rolle des Beraters nicht nur die eines Experten ist, sondern vielmehr die eines Mentors und Spiegelbildes, das Klienten hilft, ihre eigenen Einsichten und Lösungen zu entwickeln. Die Entwicklung, die Heiko Wandhoff in seinem Buch „Was soll ich tun?“ beschreibt, ist somit Ausdruck eines langen und bedeutenden Wandels, der fortwährend an Relevanz gewinnt.

 

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